LBM-Absage wegen Coronavirus: Eine bittere (aber nötige) Pille

Bild von Amrei-MarieEigenes Werk (Originaltext: Selbst erstellt), CC BY-SA 3.0, Link

Jetzt ist es offiziell: Die Leipziger Buchmesse 2020 ist wegen des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 abgesagt. Warum diese schmerzhafte Entscheidung dennoch vernünftig ist, versuche ich euch auf Basis einer kleinen Recherche näher zu bringen.

 

Das Coronavirus

Wenn wir uns näher mit dieser Absage beschäftigen wollen, sollten wir den Grund dafür kennen: Unser Feind nennt sich Sars-CoV-2 und gehört zur Gruppe der Coronaviren.

Das Virus verbreitet sich schnell und ruft eine Erkrankung der Atemwege hervor, welche in den meisten Fällen mild verläuft und Ähnlichkeiten zur Erkältung hat. Als Symptome werden Husten, Schnupfen, Halskratzen, Fieber und zT Durchfall angegeben. (1) Dabei verläuft die Erkrankung in vielen Fällen symptomfrei oder glimpflich. Der symptomfreie Verlauf bei vielen Erkrankten macht es den Wissenschaftlern schwer, vernünftig einzuschätzen, wie gefährlich der Sars-CoV2 -Erreger wirklich ist: WHO-Experte Dr. Bruce Aylward war mit einer Joint Mission im Risikogebiet in China und berichtet, dass 14 von 100 Patient*innen einen schweren Verlauf der Erkrankung erfahren, infolge dessen es zu Atemnot und Lungenentzündungen kommt. (2 Video der Pressekonferenz). 6 von 100 Patient*innen müssen intensivmedizinisch behandelt werden. Die Sterberate liegt bei 0,7% (7 von 1.000 Patient*innen versterben). Damit ist die durch das Sars-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 um einiges tödlicher, als die jährlichen Influenzawellen, bei denen 1-2 von 1.000 Infizierten versterben. (3)

Durch den Sars-CoV-2 Erreger sind vor allem Personen gefährdet, die bereits an einer chronischen Grunderkrankung leiden und/oder alt sind (4). Im Gegensatz zur Influenza ist momentan kein Impfstoff verfügbar, der derart gefährdete Personen schützen kann. Es gibt kein Medikament, das gezielt gegen den schweren Verlauf der Erkrankung eingesetzt werden kann. Es kann nur symptomatisch behandelt und unterstützt werden. (4)

Das Robert-Koch-Institut(RKI) hat am 02.03.2020 die Risikobewertung durch das Coronavirus namens Sars-CoV2 von „gering bis mäßig“ auf „mäßig“ erhöht. (5) Die EU-Gesundheitsagentur schätzt das Risiko als „hoch“ ein. (6)

Zusammengefasst haben wir es hier mit einem vergleichsweise neuen Virus zu tun, der sehr ansteckend ist und bestimmten Personengruppen sehr gefährlich werden kann. Diese Personengruppen können nicht durch einen Impfstoff geschützt werden. 6% der Infizierten müssen intensivmedizinisch betreut werden, was für Krankenhäuser und das Personal in Krankenhäusern eine echte Herausforderung darstellen kann.

 

Die Situation auf der Buchmesse

Die Leipziger Buchmesse ist eine Großveranstaltung, zu der 2018 ganze 286.000 Besucher*innen kamen. (7) Diese Besucher*innen bewegen sich bis zu 4 Tage lang dynamisch auf 104.700 m² Ausstellungsfläche der Messehallen sowie dem Lesefest Leipzig. Sie reisen mit dem öffentlichen Nahverkehr, übernachten in Hotels und essen in Restaurants. Und das ist ja eigentlich auch schön und gut so – nur in Anbetracht der momentanen Lage funktionert es einfach nicht.

Die Ratschläge des Robert-Koch-Instituts zur Vermeidung von Ansteckungen (Husten- und Niesetikette einhalten, regelmäßiges ordentliches Händewachen, 1-2m Sicherheitsabstand zu Infizierten) lassen sich meiner Meinung nach nicht mit dem Messealltag vereinbaren.(4)

Nicht jeder wird sich an eine Husten- und Niesetikette halten. Man muss sich nur die ganzen Schulklassen vorstellen und sollte zu dem Schluss kommen, dass das eine nette Utopie ist. Sich regelmäßig die Hände waschen ist auch schwierig umsetzbar, wenn die Schlangen zu den Toiletten ganz ohne diese Anweisung schon unglaublich lang sind.

Schlangestehen generell – war da nicht was mit Sicherheitsabstand? Der Sicherheitsabstand ist einfach nicht einzuhalten, wenn man sich in engen Messehallen befindet.

Das Virus verbreitet sich zudem nicht nur als Tröpfcheninfektion über Anhusten und Anniesen. Auch wenn infektiöses Sekret an die Hände gelangt und man sich danach ins Gesicht fasst, kann eine Ansteckung erfolgen. Und Coronaviren sind laut einer Studie eines Forschungsteams der Universität Bochum fähig, bis zu neun Tage auf Oberflächen zu überleben (8).

Hands down (wortwörtlich): Wie oft fasst ihr an einem Messetag Türklinken, den Boden, Tische, Stühle etc an? Und wie oft geht ihr euch danach die Hände waschen? Und wascht ihr euch die Hände auch die empfohlenen 20 Sekunden? Wenn ich darüber nachdenke, wie das auf meinem Messetag so aussieht… ohah.

Desinfektionsmittel sind gegen Coronaviren übrigens nur wirksam, wenn sie auch wirklich viruzid wirken – sie sollten entweder 62–71% Ethanol, 0,5% Wasserstoffperoxid oder 0,1% Natriumhypochlorid enthalten (8).

 

Unter diesen Umständen braucht es nicht viele Infizierte, um eine gigantische Menge an Personen anzustecken, die wiederum zu Multiplikatoren werden und das Virus mit in die Heimat bringen. An den Arbeitsplatz, in die Uni, in die Schule – vielleicht in Vereine, auf Parties, in den Club, in Schwimmbäder – und schlimmstenfalls in Krankenhäuser, Altersheime und weitere Einrichtungen, in denen sich viele Menschen aufhalten, die einen schweren Verlauf zu befürchten haben. Das Perfide am Sars-CoV-2 ist hierbei gerade der milde Verlauf, der dazu führen kann, dass die Erkrankung nicht bemerkt, aber verbreitet wird. Und die Inkubationszeit von 14 Tagen, wobei man sich nicht sicher ist, wann Infizierte am Ansteckendsten sind. (4)

Die momentane Strategie gegen Sars-CoV-2

Die momentane Strategie, welche das RKI im Epidemiologischen Bulletin 7/2020 (9) empfiehlt, setzt darauf, Zeit zu gewinnen und die Infektion zu vieler Menschen auf einmal zu vermeiden.

Da das Virus relativ neu ist, müssen viele Dinge noch erforscht werden. Es braucht zum Beispiel Zeit, einen Impfstoff zu testen und marktreif zu machen, wofür derzeitig mit einem Zeitraum von mindestens einem Jahr gerechnet wird (10).

Die Messe stattfinden zu lassen, würde absolut gegen diese Strategie laufen, da man sehr viele Menschen hier einem Ansteckungsrisiko aussetzen würde, die dann zu Multiplikatoren für das Risiko werden. Und das ist auch für das Gesundheitssystem an sich ein Problem.

Das Virus und unser Gesundheitssystem

Im internationalen Vergleich ist das deutsche Gesundheitssystem vergleichsweise gut aufgestellt, wenn es darum geht, das Virus zu bekämpfen (4). Dennoch braucht es Ressourcen, um kranken Menschen gerecht zu werden. Es braucht ausreichend Betten, es braucht Beatmungsgeräte, es braucht Schutzausrüstung und es braucht vor allem auch Personal. Menschen in Krankenhäusern haben ja nicht nur COVID-19, sondern alle möglichen Erkrankungen, die auskuriert werden müssen. Und damit ergibt sich auch eine gefährliche Situation, da Menschen, die gerade eine Krankheit haben eben nicht noch zusätzlich mit Sars-CoV-2 infiziert werden sollten. Um das zu bewerkstelligen, bedarf es einiges Aufwands und Materials.

Und was Material angeht gibt es schon Engpässe, weil irgendwelche … wenig informierten Menschen… der Meinung sind, sie müssten zur Prävention einen Spritzschutz für Chirurgen tragen und diese in rauer Menge aufkaufen. Ein Mundschutz hilft natürlich nicht so gut gegen Coronaviren wie Händewaschen (schon allein weil dieser nach 20min durchfeuchtet ist und keine Viren mehr abhalten kann [11]), ist aber unerlässlich, wenn isolierte Patient*innen Besuch empfangen wollen – was jetzt laut einer Twitter-Userin bei ihr im Klinikum nicht mehr möglich sei(12, Link zum Tweet). Hausärzten mangelt es ebenso an einem Nachschub an Schutzbekleidung. Auch Desinfektionsmittel und Medikamente könnten knapp werden, nicht zuletzt weil die Produktion in den Risikogebieten in China stillsteht. (13)

Unser Gesundheitssystem ist also nicht „unkaputtbar“ und es wäre sinnvoll, wenn wir diesem System Zeit geben, sich auf weitere schwere Verläufe von COVID-19 einzustellen.

Wenn wir uns ansehen, wie leicht eine Infektion mit dem Sars-CoV-2 sich ausbreiten kann und wie viele Menschen zur Leipziger Buchmesse kommen, auf welcher die Maßnahmen zu einer Vermeidung von Ansteckungen einfach nicht eingehalten werden können, ist davon auszugehen, dass ein Stattfinden der Messe das Gesundheitssystem zu einem zu frühen Zeitpunkt sehr stark belasten könnte.

Selbst wenn Menschen, die Risikogruppen angehören, nicht zur Messe selbst kommen ist eine Ansteckung dieser über andere Besucher*innen wahrscheinlich – denn die Inkubationszeit für das Virus beträgt (wahrscheinlich, es wird noch geforscht) 14 Tage, wobei noch nicht sicher ist, wann eine infizierte Person am Ansteckendsten ist. (4)

Und damit kommen wir zum entscheidenden Punkt:

Die Leipziger Buchmesse stattfinden zu lassen, würde zahlreiche Personen gefährden, die Risikogruppen angehören. Diese müssten ins Krankenhaus. Die Krankenhäuser sind vielerorts so schon überfüllt. Die Versorgungssituation für alle Erkrankten leidet.

Eigentlich ist das ein wirklich leicht zu verstehender Punkt, dennoch habe ich den halben Morgen damit verbracht, auf Twitter mit Menschen zu diskurtieren, warum es denn ausgerechnet die Buchmesse sein müsse. Dementsprechend noch einmal der nächste Absatz:

 

Aber was ist mit Berufsverkehr/anderen Messen?

Natürlich ist die LBM nicht der einzige Ort, an dem man sich infizieren kann. Sie birgt aber ein großes Risiko, das sich vermeiden lässt.

Auch andere Messen werden überlegen müssen, wie groß das Ansteckungspotential bei ihnen ist. Hier geht es jetzt erst einmal um die LBM und bedenkt man die Größe und Dauer des Events, sowie den Personenkreis, der an ihr teilnimmt (ein breites Spektrum der gesamten Gesellschaft aus In- und Ausland), ist es sinnvoll das Risiko als zu hoch einzuschätzen.

Vergleiche mit dem öffentlichen Nahverkehr hinken , denn zum einen ist es wichtig, dass Leute zur Arbeit kommen, weil sie Teil eines Systems sind, auf das wir angewiesen sind (mal mehr, mal weniger), zum anderen kann man selbst den dicht gedrängten Verkehr zur Rush Hour nicht mit der Messesituation vergleichen, in welcher man durch die Vermischung der Menschenmassen offensichtlich viel mehr Kontakte hat, die zudem dieselben sanitären Anlagen benutzen, zusätzlich den öffentlichen Nahverkehr benutzen und dann in Hotels übernachten. Man hat in diesem Szenario nicht nur eine längere Dauer sondern auch viel mehr Kontakte und selbst danach noch viel mehr öffentliche Bereiche, in denen sich das Virus verbreiten kann.

Die Strategie des RKI und der Behörden ist es, die Infektionsdynamik zu verlangsamen und Zeit zu gewinnen. Eine Großveranstaltung ist ein Risiko, was sich absagen lässt. Jeden einzelnen Menschen vor einer Ansteckung zu schützen wird auf Dauer nicht gelingen und es werden selbstverständlich viele Menschen mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt werden und erkranken. Das kann man nicht verhindern. Was sich aber verhindern lässt ist eine schlagartige Infektion einer großen Anzahl von Menschen durch eine Großveranstaltung.

 

Fazit

Es ist natürlich traurig, dass die LBM 2020 ausfällt und es ist frustrierend, wenn man sich so sehr darauf gefreut hat. Das kann glaube ich jede*r nachvollziehen. Es war dennoch die beste Entscheidung. Denn die Konsequenz eines Stattfindens wäre das hohe Risiko, dass auf einen Schlag eine große Menge Menschen mit Sars-CoV-2 angesteckt werden. Diese stecken weitere Menschen an. Menschen werden auch an einem schweren Verlauf erkranken, werden ins Krankenhaus müssen und das eventuell in so großer Zahl, dass es das Gesundheitssystem zu einem viel zu frühen Zeitpunkt trifft und überlastet.

Das Ausfallen einer Messe ist ein kleiner Preis, um zum Schutz von Menschen beizutragen, die durch das neuartige Coronavirus ernsthaft gefährdet werden. Und als Gesellschaft ist es unsere Aufgabe, auch das Wohl dieser Menschen in Betracht zu ziehen.

Da viele Menschen nicht die Zeit, den Hintergrund oder die Motivation haben, das Gesamtszenario zu überdenken, ist es das Beste, wenn ein Oberbürgermeister die Verantwortung übernimmt und die Veranstaltung absagt. Denn selbst wenn man als gesunder Mensch subjektiv nicht viel vom neuen Coronavirus zu befürchten hat, kann man zum Überträger werden und als solcher andere Menschen gefährden. Deshalb gehört die Entscheidung, zur Messe zu kommen oder daheim zu bleiben, auch nicht in Besucher*innenhände. Denn es ist nicht nur die Verantwortung für sich selbst, die man trägt, wenn man angesteckt wird. Das Virus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und wir können dieses Problem nur mit besonnenem Handeln und größtmöglicher Rücksichtsnahme lösen. Es gibt Menschen, die darauf angewiesen sind, dass wir sie nicht anstecken und für die die momentane Lage gruselig genug sein muss. Lasst es uns diesen Menschen nicht noch schwerer machen, indem wir unseren Spaß vor die für sie lebensgefährlichen Konsequenzen stellen.

Seid bitte nicht wütend auf die Verantwortlichen, wenn die Messe dieses eine Mal nicht stattfinden kann. Es wird ein nächstes Mal geben, wenn die Situation sich entspannt hat. Nutzt das Wochenende für Fotoshootings, geht in die Natur, lest ein gutes Buch und macht Pläne für die nächste Veranstaltung.

Bald sieht die Welt schon wieder anders aus!

 

Eure

Quellen:

1 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Symptome.html

2 https://www.youtube.com/watch?v=-o0q1XMRKYM

3 https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/fact-sheet/details/news/wie-toedlich-wird-das-coronavirus/

4 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste.html

5 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html

6 https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-deutschland-153.html

7 https://www.leipziger-messe.de/pressemitteilungen/abschlussbericht-die-einzigartige-kraft-der-worte/785826

8 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0195670120300463

9 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/07_20.pdf?__blob=publicationFile

10 https://www.tagesschau.de/ausland/faq-corona-impfstoff-101.html

11 https://www.apotheken-umschau.de/Erkaeltung/Schuetzt-ein-Mundschutz-vor-Viren-502919.html

12 https://twitter.com/frau_minze/status/1234545061754474498

13 https://www.tagesschau.de/inland/corona-deutschland-hausaerzte-101.html